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Die Stadt in der heutigen Forschung
Das Thema Stadt beschäftigt naturgemäß Geographen und
Bevölkerungswissenschaftler wesentlich mehr, als Historiker und
Archäologen. Auch ist ihr Bedürfnis bei der Definition ein
anderes als in den Altertumswissenschaften. Entsprechend lohnt ein Blick
auf die Arbeit der Kollegen. Basis für die nachfolgenden Ausführungen
war das "Skript zur Einführung in die Kultur- und Sozialgeographie,
Bevölkerungsverteilung und Bevölkerungsstruktur" der
Humboldt Universität zu Berlin sein. (Stand Januar 2001)
Überblick
In allen Kulturen und in allen Regionen gibt das Phänomen "Stadt".
Städte sind Siedlungen, die sich durch Größe und wirtschaftliche
Faktoren vom Umland abheben. Sie sind Landmarken, die menschliche Aktivitäten
konzentrieren und so einen wichtigen Beitrag zur kulturellen Entwicklung
der jeweiligen Kultur leisten. Der Begriff der Stadt ist allgemein verständlich
und weder die Bewohner von Städten, noch die ländliche Bevölkerung
werden Probleme haben, verschiedene Siedlungen als Stadt oder nicht
Stadt zu definieren. Gefragt nach einer eindeutigen Definition sieht
das etwas anders aus. Eine Ursache ist, dass der Stadtbegriff in verschiedenen
Regionen unterschiedlich gehandhabt wird.
Der historische Stadtbegriff entstand im mittelalterlichen Westeuropa.
In Deutschland wurde Siedlungen mit gewissen Voraussetzungen der Titel
„Stadt“ verliehen. Welche dies im Einzelnen waren, soll
hier nicht erörtert werden. Dieser Titel beinhaltete z.B. das Marktrecht,
das Recht auf Selbstverwaltung und die Freiheit der Stadtbevölkerung.
Daneben hatte Städte das Recht der Besteuerung, eine eigene Gerichtsbarkeit,
Zollrecht oder das Recht auf Befestigung. Mit dem Stadtrecht war auch
die Aufhebung der Leibeigenschaft verbunden. Auch wenn diese "Titularstädte"
später an Bedeutung verloren, führte dies nicht zwangsläufig
zur Aberkennung des Stadtrechts. Daraus resultieren moderne Siedlungen,
die kaum städtische Strukturen besitzen und doch Städte genannt
werden.
Ein Versuch, eine eindeutige Definition von „Städten“
zu erhalten, war die Einführung eines statistischen Stadtbegriffs.
Im Jahre 1860 wurde auf dem statistischen Kongress in
London die Vereinbarung
getroffen, dass alle Gemeinden mit über 2000 Bewohnern fortan als
Städte zu gelten haben. Zwar gilt diese Regel seitdem, doch ist
sie in der Praxis nur begrenzt anwendbar und wird aktuell als nicht
zeitgemäß eingestuft. Ein einfacher Grund dafür ist
folgender: In Island gelten Ansiedlungen mit 20 Einwohnern als Städte.
In Japan findet der Begriff Stadt erst Verwendung bei Ansiedlungen mit
über 50.000 Einwohnern. Diese Spannweite ist beträchtlich.
Die untenstehende Tabelle (Abbildung 1) nach dem demographischen Jahrbuch
1988 zeigt dies noch einmal in anschaulicher Weise.
Einwohnerzahlen
von Städten im internationalen Vergleich. (Aus Skript
zur Einführung in die Kultur- und Sozialgeographie, Bevölkerungsverteilung
und Bevölkerungsstruktur)
Untergrenze
der Einwohnerzahl städtischer Siedlungen |
Definition
im Detail |
Definition
im Detail Staat |
200 |
Agglomerationen |
Dänemark |
2.000 |
zusammenhängende
Bebauung mit weniger als 200m Abstand zwischen den Häusern
oder Gemeinden, von denen der größere Teil der Bevölkerung
zu einer aus mehreren Gemeinden bestehenden Agglomeration gehört. |
Frankreich |
2.500 |
unter
2.000 Ew "Landgemeinden" |
Deutschland |
10.000 |
Munizien
und Gemeinden |
Griechenland |
50.000 |
Städte
(shi) in denen mindestens 60% der Häuser im verbautem Gebiet
liegen und mindestens 60% der Bevölkerung in Industrie oder
anderen (städtischen) Betriebsstätten arbeiten oder das
Gebiet städtische Einrichtungen aufweist |
Japan |
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Quelle:
Demographic Yearbook 1988, in LICHTENBERGER (1991)
Die Geographie
definiert aus erwähntem Grund den Stadtbegriff in folgender Art
und Weise. Dabei wird ausdrücklich darauf Wert gelegt, keine eindeutige
und allgemein gültige Definition angeben zu können, die sämtliche
Aspekte berücksichtigt.
-
Die Stadt zeichnet sich durch eine gewisse Größe, durch
eine hohe Bebauungsdichte und eine geschlossene Ortsform aus.
-
Es besteht ein Kern-Rand-Gefälle bezogen auf beispielsweise die
Wohn- und Arbeitsstättendichte, Miet- und Lebenshaltungskosten.
-
Ein weiteres Merkmal ist die Erwerbsstruktur der Stadtbevölkerung.
Die Mehrheit der Bevölkerung geht nicht einer agraren Beschäftigung,
sondern Tätigkeiten im sekundären und tertiären Sektor
nach.
-
Die Stadt ist in sich funktional gegliedert.
-
Städte besitzen einen Bedeutungsüberschuss gegenüber
ländlichen Siedlungen, d.h. städtische Einrichtungen werden
von Bewohnern des Umlandes ebenso genutzt.
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Durch diesen Bedeutungsüberschuss und die Mitnutzung städtischer
Einrichtungen durch die Bewohner des Umlandes ergibt sich eine Verkehrsbündelung
und hohe Verkehrswertigkeit der Stadt.
-
Städte sind durch eine besondere Bevölkerungsstruktur gekennzeichnet.
Überdurchschnittliche Anteile von Einpersonen-Haushalten und
Kleinfamilien mit nur einem Kind sind als Merkmale von Städten
bekannt.
Diese Definition ist in modernen Kategorien gedacht. Gerade die Kleinfamilie
oder den Singlehaushalt werden wir in der Bronzezeit vergeblich suchen.
Doch ist der Kern auch hier derselbe. Die Stadt ist ein regionales,
sich vom Umland abhebendes Zentrum. Dies spiegelt sich in der Größe,
den Institutionen und der Infrastruktur wider. Insofern ist dieser Definitionsversuch
für uns wertvoll.
Cadiz
Die vermutlich älteste Stadt Westeuropas ist Cadiz (Gadir). Sie
ist um 1200 v.Chr. von den Phöniziern nahe den "Säulen
des Herkules" gegründet worden. Das Volk der Seefahrer und
Händler verwirklichte in der Anlage seine Ansprüche an einen
Handelsstützpunkt und an eine Drehscheibe des Fernhandels. Topographie
und strategische Gesichtspunkte fanden sichtbar Eingang in die Pläne
für die Gründung. Dieser Hinweis sei hier gegeben, weil meines
Erachtens zu berücksichtigen ist, welche Bedürfnisse eine
Bevölkerung bei der Gründung von Städten hat. Cadiz passt
nicht ganz in den Zeitrahmen, doch sind die Phönizier ebenfalls
ein Volk mit stark nach außen gerichteten, kommerziellen Interessen.
Insofern scheinen sie den Minoern nicht ganz unähnlich. Jedoch
befestigten die Phönizier ihre Städte. Am Beispiel von Cadiz
(Gadir = Zaun, Umfassungs-, Festungs- oder Hafenmauer) ist schon der
Name Programm. Man könnte meinen, dass der Grund das Fehlen des
natürlichen Schutzes der Insellage ist. Doch was bedeutet auf Kreta
schon das Wort Insellage. Der Naturraum Kreta verbietet so etwas wie
absolute Kontrolle. Ein potentieller Aggressor würde jederzeit
eine Bucht finden, wo er landen kann, um in Ruhe einen Angriff auf einen
der Paläste zu planen und vorzubereiten. Die fehlende Befestigung
der Siedlungen bleibt also ein Rätsel.
Vergleich
von Stadtstrukturen
Städte sind Ausdruck aktueller und spezifischer Ansprüche
und Bedürfnisse. Insofern verwundert es nicht, wenn sich die Konzepte
und Planungen im Laufe der Zeit änderten.
Städte widerspiegeln gesellschaftliche, politische und soziale
Gegebenheiten. Europäische und orientalische Städte reichen
in ihrer Entstehung weit in die Vergangenheit zurück. In der Geschichte
durchliefen sie verschiedene Phasen. Auffällig ist, dass die Trennung
von Wohn- und Arbeitsort in europäischen Städten erst im Zuge
der industriellen Revolution vollzogen wurde. Dieses Prinzip herrschte
in orientalischen Städten von Anfang an. Die typische europäische
Stadt des Mittelalters war gekennzeichnet durch die Werkstatt im Erdgeschoss
mit darüber liegenden Wohnräumen. Erst die Standortrennung
unterschiedlicher Branchen durch Zünfte und Gilden brachte eine
räumliche Differenzierung. Die Praxis orientalischer Städte
konzentrierte Handel und Handwerk am Bazar.
Segregation der Bevölkerung folgt in der orientalischen Stadt ethnischen
und religiösen Kriterien. Das Prinzip europäischer Städte
ist eher ein soziales. Das drückt sich auch in Grundriss und Architektur
aus. Der "Sackgassengrundriss" orientalischer Stadtkerne begünstigt
die Separierung auch baulich. Das Kern-Rand-Gefälle europäischer
Städte findet in der Größe und der baulichen Gestaltung
der einzelnen Gebäude seinen Ausdruck. In frühen Phasen der
europäischen Stadt lokalisierten sich der Herrschaftssitz oder
die Zitadelle eher im Zentrum, während sie in der orientalischen
Stadt in der Peripherie angesiedelt war. Auch die Unterschiede in der
Bewertung von Öffentlichkeit und Privatem äußern sich
in den Grundrissen. Im orientalischen Raum orientieren sich die Gebäude
eher ins Innere, was auch durch relativ schmucklose Fassaden ausgedrückt
wird. Mittelalterliche Fassaden europäischer Städte sind dagegen
repräsentativ gestaltet. Durchgängige öffentliche Straßen
und allgemeine Zugänglichkeit auch von Hofbereichen sind als Ausdruck
der Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung zu interpretieren.
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