Über den Charakter der Wirtschaft in der Bronzezeit
Hilfreich könnte im Falle des minoischen Kreta die Klärung
der Frage sein, mit welchem Typus von Wirtschaft wir zu rechnen haben.
Handelte es sich primär um Tauschhandel oder existierte eine Art
Währung? Eine Währung muss nicht zwingend gemünztes Geld
sein. So dienten in Polynesien Matten, Walrosszähne, Jadesteine,
Kristalle und Muscheln als Währung. (siehe dazu: Mauss, Die
Gabe, S. 52 Fußnote 11) Geld sei hier also nicht definiert
als erst existent, wenn es nicht nur als Tauschmittel, sondern auch
als Wertmaßstab dient.
Im engeren Sinne existiert wirtschaftlicher Wert erst, wenn es Geld
gibt und Geld erst dann, wenn die kostbaren Dinge, die selbst verdichtete
Reichtümer und Zeichen für Reichtum sind, wirklich zu Geld
geworden sind, d.h. gemünzt oder entpersönlicht von individuellen
oder kollektiven Personen außer von der Autorität des Staates,
der sie prägt (Inwieweit Mauss hier richtig liegt, ist durchaus
umstritten). Dies ist unsere eigene moderne Definition des Geldes.
Im weiteren Sinne gab es Geld auch davor, etwa in Form von Muscheln,
Steinen, Decken oder Edelmetallen. Auch wenn man sich an den Gedanken
gewöhnen muss, dass dieses Geld neben seinen materiellen häufig
auch magische Eigenschaften hatte, und der Wert von Tausch zu Tausch
und abhängig von der Menge schwankte. Diese kostbaren Dinge haben
in zweierlei Hinsicht dieselbe Funktion wie Geld und sollten folglich
zumindest zur gleichen Klasse gerechnet werden. Sie besitzen eine Kaufkraft
und einen bezifferten Wert, auch wenn sich dieser bei Gelegenheit ändern
konnte. Geld dient in dieser Phase also nicht nur als Kaufmittel, sondern
auch Medium für den Umlauf und die Bezifferung von Reichtum. Vor
diesem Hintergrund soll Geld hier verstanden werden.
Es
muss im minoischen Kreta eine Art Lagerverwaltung und dementsprechend
eine Buchhaltung gegeben haben. Dies scheint der archäologische
Befund deutlich zu zeigen. Nicht nur die offensichtlichen Verwaltungstexte,
auch die zahllosen Sigelfunde unterstreichen dies. Bleibt zu fragen,
ob es nur Tribute waren, die hier erfasst wurden oder ob es eine Form
der Entlohnung gab. Das vielfältige Handwerk, der Handel, Administrationszentren
deuten doch einiges darauf hin; zumindest wenn wir unterstellen, es
habe keine starke Zentralgewalt im Sinne eines Lehn- oder Fronherren
gegeben. Ob dies eine Währung erfordert, erscheint mir zunächst
etwas zweifelhaft. Der archäologische Befund zeigt nichts dergleichen.
Zu überlegen wäre natürlich, ob es sich um vergängliche
Materialien gehandelt haben könnte, die nicht erhalten sind. Eventuell
gibt es sogar eine oder mehrere Funde, die nur bis jetzt nicht zugeordnet
werden konnten. Allerdings soll dies nicht Thema dieser Arbeit sein.
Interessant könnte allerdings sein, anhand des archäologischen
Befunds auf ein Wirtschaftsmodell zu schließen. Dazu soll noch
einmal der Blick auf archaische Gesellschaften in fassbaren Zeiträumen
geworfen werden. Der Vergleich mit ''modernen'' archaischen Gesellschaften
kann kaum Beweiskraft haben, doch hilft er womöglich der Inspiration,
schärft den Blick für den archäologischen Befund. Wie
kann eine Gesellschaft ohne eine Währung, den Austausch regeln.
Bei den Kula gibt es eine Institution, die wasi genannt wird.
Hierbei legt der ackerbauende Partner seine Produkte vor das Haus des
fischenden Verbündeten. Bei nächster Gelegenheit zahlt dieser
mit seinen Produkten diese Gaben zurück. Tausch und Geschenk haben
sehr speziellen Charakter. Eine Gabe erfordert in archaischen Gesellschaften
oft bindend eine Gegengabe. Die ganze Wirtschaft funktioniert nach diesem
Prinzip.
Sämtliche Inselvölker Poly- und Melanesiens und Teile Südasiens
haben dieselbe Rechts- und Wirtschaftsordnung. Dabei wird unser System
von Kauf und Verkauf durch Gabe und Gegengabe ersetzt. Dieses System
funktioniert ausgesprochen gut. Es hat jedoch auch seine Grenzen. Ähnlich
wie z.B. auch im germanischen Recht fehlt die Fähigkeit zu abstrahieren,
wirtschaftliche und juristische Begriffe zu trennen. Doch auch wenn
es vielleicht keine Begrifflichkeit für Verkauf und Darlehen gibt,
werden in der Praxis diese Handlungen vollzogen.
Zur Regelung des Warenverkehrs, zur Regulierung der gesamten Wirtschaft
haben diese Gesellschaften eigene Institutionen entwickelt. Hinweisen
möchte ich u.a. auf die Institution des Polatsch. Interessant
für die minoische Gesellschaft ist daran, dass wir hier ein hervorragendes
Beispiel einer Analyse archaischer Gesellschaften haben, die trotz des
Fehlens einer gemünzten Währung ausgeprägte und ausgedehnte
Wirtschaftssysteme und Außenhandel betreiben. Die Minoer lieferten
zusätzlich eine buchhalterische Komponente, die das Prinzip des
Augenzeugen ersetzt. Das könnte der Schriftlichkeit der Minoer
geschuldet sein. Eine Institution bei der landbauende und fischende
Bevölkerung ihre Produkte austauschen, wird sicher auch für
Kreta Sinn machen. Ob die Art und Weise dieselbe ist wie in Polynesien,
ist eine andere Frage. Es geht um den bargeldlosen Austausch an sich.
Gegen eine rein kultische Ausrichtung der Gesellschaft scheinen meiner
Ansicht nach einige Punkte zu sprechen. Zwar spielte Kult im minoischen
Kreta eine wichtige, vielleicht die zentrale Rolle (das geradezu omnipräsente
Symbol der Doppelaxt ist dafür ein Indiz), trotzdem scheint es
noch andere Antriebskräfte gegeben zu haben. Im Vergleich zu Ägypten
erscheint die minoische Kultur ausgesprochen dynamisch. Verschiedenste
künstlerische Stile und Techniken entwickelten sich, die Darstellung
drängte mit großer Kraft hin zu einer naturalisierenden Form.
So
entdeckten bronzezeitliche Künstler schon in der ersten Hälfte
des 2. Jahrtausend die dritte Dimension. Die turtelnden Schwalben auf
dem Frühlingsfresko (Bild: KZU)
aus dem wohl minoischen Handelsposten Akrotiri auf Thera sind das herausragende
Beispiel. Auch scheinen die Expansionsbemühungen der Minoer vorrangig
wirtschaftlich motiviert gewesen zu sein. Der vielbesprochene ''Pax
Minoica'' ist eher Ausdruck einer Handelsmacht, denn eines streng religiösen
Gottesstaat. Nicht nur für die Bronzezeit wird man ausdrücklich
friedliche in sich gekehrte Religionen suchen müssen (Buddhismus
ist ausdrücklich keine Religion! Es ist eine Philosophie.).
Für eine nach außen auf Handel und Erwerb ausgerichtete Gesellschaft
ist Stadtgründung ein logischer nachvollziehbarer Schritt. Produktion,
Administration und Logistik sind nur bei einer gewissen Konzentration
effektiv zu bewältigen. Denkbar wäre auch ein Zusammenschluss
und Bündnis der einzelnen Zentren.
So recht helfen wird diese Erkenntnis bei der Definition der bronzezeitlichen
Stadt noch nicht, vielleicht liefert sie aber später einen wertvollen
Hinweis.