Einleitung (Startseite)

Die Stadt bei Max Weber Die Stadt in der heutigen Forschung Die Stadt in der klassischen Antike
Wirtschaft in der Bronzezeit Das minoische Kreta Ausblick & Zusammenfassung Literatur-/ Quellenverzeichnis




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Das minoische Kreta


Bevor ich mich dem eigentlichen Untersuchungsobjekt zuwende, sind einige Bemerkungen notwendig. Wird im weiteren Verlauf von einem Palast geredet, ist dieser zuerst zu definieren. Das ausschlaggebende Merkmal für eine Bezeichnung als Palast ist ein umbauter Zentralhof. Bisher zählen dazu die Paläste von Knossos, Phaistos, Mallia und Kato Zakros. Bei der Betrachtung des Stadtbegriffs auf Kreta können nicht alle bereits ergrabenen Siedlungsplätze berücksichtigt werden. Die getroffene Auswahl wird im folgenden kurz begründet.



Knossos

Knossos ist unter allen Palästen auf Kreta mit Abstand der größte und bedeutendste. Die Siedlung, und um die geht es hier, ist nur in Stichproben ergraben. Eine Aussage, Stadt oder nicht, kann hier nur mit Vermutungen und stillschweigenden Unterstellungen getroffen werden. Auf Knossos soll also nur marginal eingegangen werden.

Phaistos

Für Phaistos gilt wie für Knossos, dass es sich zwar um einen bedeutenden Palast handelt, die dazugehörige Siedlung aber nicht ergraben ist. Allenfalls die Existenz einer solchen kann als gesichert gelten. Im Bereich westlich des Palastes sind entsprechende Strukturen gefunden worden, auch wenn die Eigentumsverhältnisse weitergehende Grabungen bisher verhindert haben. Auch Phaistos hilft bei dieser Diskussion nicht weiter.



Palaiskastro

In Palaiskastro fanden die Ausgräber eine ausgedehnte Siedlung. Bisher gibt es jedoch keinen Palast. Das würde Palaiskastro zum Idealtyp einer bronzezeitlichen Stadt machen. Der bisher ergrabene Teil lässt aber ausgerechnet die wichtigsten Merkmale, die für die Definition als Stadt unerlässlich sind, vermissen. So fehlt ein größeres Gebäude, das als administrativer Bau interpretiert werden kann und ein Markt. Davon abgesehen, kann man für diesen Standort einige Mutmaßungen treffen. (Dazu vgl. Ausblick)

Kato Zakros, Gournia und Mallia

Alle drei Plätze, Kato Zakros, Gournia und Mallia, sind für unsere Diskussion interessant. Gournia hat das unbestrittene Privileg, vollständig ergraben worden zu sein. Auch von Kato Zakros hat man ein wohl realistisches Bild betreffs Größe und Situation. In Malia gibt es, wie ich vermute, noch einiges zu entdecken. Schon jetzt ist Mallia der vielleicht interessanteste Fall auf der Suche nach einer minoischen Stadt.




 

Die Villen
In unmittelbarer Nähe zu Knossos und Phaistos finden sich prächtige Villen. Diese "kleine Paläste" werden gelegentlich als Sommersitze gedeutet. Dabei ist der ''kleine Palast'' von Knossos nur wenige hundert Meter vom ''großen Palast'' entfernt. Auch Haghia Triada liegt in Laufnähe des Palastes von Phaistos. Die Rolle dieser Villen ist, wie ich glaube, noch unklar. In Anbetracht der Lage erscheint die Deutung als Sommersitz wenig plausibel.

Haghia Triada fehlt zu einer Interpretation als Palast nur der umbaute Zentralhof. In seinen Ausmaßen kann es Haghia Triada beinahe mit Kato Zakros aufnehmen. Angeschlossen sind erhebliche Lagerkapazitäten, eine Agora und eine kleine Siedlung. Dieser Bereich datiert jedoch in die Nachpalastzeit. Diese liegt außerhalb des Zeitrahmens. Im mykenischen Bereich ist der Stadtbegriff gesondert zu betrachten. Dies erklärt sich von selbst, betrachtet man die mykenischen Residenzen in Mykene, Pylos und Tyrins. Die Villen, ganz besonders Haghia Triada, verdienen eine eingehende Betrachtung, doch sind sie für den gesuchten Stadtbegriff zunächst nicht hilfreich.

Bei der Interpretation der Paläste könnte dies anders sein. Zu bedenken bleibt jedoch, dass Haghia Triada recht spät datiert ist. Es könnte durchaus sein, dass diese Villa den Herrschern von Phaistos im 16. Jahrhundert nach dem Bau des Neuen Palastes von Phaistos als ''Zweitwohnsitz'' gedient hat. Den Grund dafür zu finden, ist beim derzeitigen Stand des Wissens ein eher aussichtsloses Unterfangen. Die Tatsache an sich bleibt interessant. Jedoch halte ich die beiden Beispiele aus Knossos und Haghia Triada für nicht vergleichbar.

Haghia Triada ist eindeutig eine Klasse für sich. Den kleinen Palast von Knossos sehe ich eher in Bezug auf Mallia. Dort findet sich ein durchaus vergleichbares Beispiel. Gebäude A ist auf den ersten Blick ''nur'' ein großes und prächtiges Haus, doch fanden sich in Innern Verwaltungstexte, die es zu einem administrativen Zentrum außerhalb des eigentlichen Palastes machen. Auf die Funktion dieses Gebäudes wird zurückzukommen sein.

Kato Zakros

Kato Zakros liegt im äußersten Osten Kretas. Der Ort liegt in einer verhältnismäßig kleinen Bucht weitab jeder größeren Ortschaft. Die Bucht ist von hohen Bergen umgeben. Der moderne Ort Zakros (oben) und Kato Zakros (kato=unten) sind durch eine asphaltierte Straße verbunden. Diese schlängelt sich außen um einen Berg herum. Direkt verbunden werden beide Orte durch eine Schlucht. Den Namen ''Todestal'' verdankt sie den dort gefundenen Gräbern. Die Schlucht ist auch für ungeübte Kletterer zu meistern. Man kann wohl davon ausgehen, dass dieses "Todestal" die "alte Straße" darstellt.

Abb. 1) Blick auf den Palast von der Siedlung aus.
Deutlich zu sehen der umbaute Zentralhof.

Kato Zakros ist etwas Besonderes. Der Palast liegt praktisch in unmittelbarer Nähe des Meeres. Das mag seine Ursache in der negativen Strandverschiebung haben, sicherlich liegt es aber auch am fehlenden Platz. Die Bucht dürfte zu jeder Jahreszeit sehr geschützt sein, bietet also gute Voraussetzungen für einen Hafen. Eine Landzunge, die eigentlich typisch ist für minoische Häfen, sucht man vergebens. Es ist möglich, dass diese in Anbetracht der Lage nicht notwendig war. Der Palast und die dazugehörende Siedlung liegen sehr dicht beieinander. Beinahe gehen sie ineinander über, und es ist nicht einfach, den Punkt zu finden, wo der Palast aufhört und wo die ihn umgebenden Häuser beginnen.


Abb. 2) Blick auf den Zentralhof

Und noch etwas ist anders in Kato Zakros: Man sieht von der Siedlung hinunter auf den Palast. Abbildung 1 zeigt diesen sehr ungewöhnlichen Umstand recht deutlich. Alle anderen Paläste liegen erhöht auf einer Hügelkuppe . Das gilt für Knossos und Phaistos ebenso wie für Mallia. Geht man davon aus, dass die in Chania ergrabene Parzelle in der od. Kanevarou Teil eines Palastes war, lag dieser ebenfalls direkt am Meer, jedoch erhöht. Die Parzelle könnte natürlich ebenso gut Teil einer Villa sein. Klar ist nur, dass es sich nicht um ein einfaches Gebäude handelt. Treppen und Türbasen sind hochwertiger Ausführung, die Räume sind relativ groß.

Die Definition als Palast verdankt Kato Zakros dem umbauten Zentralhof. Um diesen Hof gruppieren sich die üblichen Vorratsräume, Werkstätten und weitere Räume, deren Funktion kultisch oder repräsentativ gewesen sein mag. Insgesamt ist der Palast sehr klein. An seiner Einordnung ändert das nichts. Er weist alle für eine Definition als Palast notwendigen Kriterien auf. Ungewöhnlich sind die beiden Strukturen auf dem Zentralhof.

Abb. 3) Gepflasterte Straßen erschließen die Siedlung von Kato Zakros.

Die Interpretation ist schwierig, doch könnten sie mit dem sog. Stierspiel zusammenhängen. An der Existenz eines solchen gibt es wenig Zweifel ; wo es abgehalten wurde, ist aber umstritten. In Kato Zakros spricht einiges dafür, dass es sich auf dem Zentralhof selbst abspielte. Sowohl die "Tränke" als auch die im Abbildung 2 deutlich zu erkennende "Bank" erinnern an die eine oder andere Darstellung des Stierspiels. In Knossos würde sich dagegen auch die große Straße anbieten, die sich vom Palast aus im Nordwesten befindet. Sie beginnt am „Theaterplatz“ in der Nähe des Nordeingangs. Entlang der Straße befinden sich Strukturen, die an Zuschauerränge erinnern. Die Stiere könnten also die Straße heruntergelaufen sein. Die Gefahr besteht natürlich, dass diese Einordnung oder diese Vermutung nur deshalb so naheliegend erscheint, weil wir das "moderne" Stierspiel in Pamplona vor Augen haben. So normal diese Assoziation ist, gibt sie doch keinen guten Vergleich. Die ikonographischen Zeugnisse sprechen recht eindeutig dagegen.

Direkt an den Palast schließt sich die Siedlung an. Sie ist durchzogen von breiten Straßen, die offenbar auch so etwas wie Kanalisation hatte. Ein schmaler Kanal entlang der Straße erinnert zumindest an eine derartige Einrichtung. Die Straßen (vgl. Abb. 3) sind gepflastert. Sie erschließen die einzelnen Gebäude der Siedlung, die vom Palast kaum zu trennen ist. Der Plan Abb. 4 zeigt dies anschaulich. Nicht eindeutig zuzuordnende Gebäude sind im Plan Abb. 4 grau gekennzeichnet. Der Palast ist offenbar integraler Bestandteil der Siedlung. So deutlich ist dies nur in Kato Zakros der Fall. Doch auch in Mallia schließt sich die Siedlung relativ dicht an den Palast an. Beide sind hier aber eindeutig zu trennen. In Knossos und Phaistos scheint es ähnlich zu sein.

Abb 4: Übersichtsplan des Palastes von Kato Zakros und der Siedlung (aus: Frühe Stadtkulturen, Seite 68)

 

Die Umstände in Kato Zakros sind für die Spekulationen hinsichtlich der Regierung oder Verwaltung Kretas in minoischer Zeit ausgesprochen hilfreich. Allein der Fall dieses Palastes beweist, dass es sich nicht um ein restriktives System gehandelt haben kann. Ein restriktiv herrschender Adel, der sich eine Residenz errichtet, wird auf Distanz zum einfachen Volk Wert legen. Allein schon aus einem Schutzbedürfnis heraus, würde er seinen Palast befestigen. Der archäologische Befund in Kato Zakros ist der einer Konsensgesellschaft. Der Palast erscheint eher ein administratives Zentrum, denn Sitz einer Herrscheraristokratie zu sein. Selbst bei einer Interpretation als „Rathaus“ ist die Situation in Kato Zakros ungewöhnlich. Hier einen Herrscher im Sinne eines Monarchen anzunehmen, halte ich für unmöglich.



Gournia

Östlich von Mallia liegt auf einer kleinen Bergkuppe Gournia. Umgeben von Hügelketten öffnet sich um die Siedlung ein fruchtbares Tal. Auch Gournia hat eine gewisse Sonderstellung inne. Der Platz scheint vollständig ergraben. Aus Platzgründen soll Gournia trotzdem nur kurz behandelt werden.

Der Grundriss von Gournia erscheint kompakt mit einer klaren Außengrenze. Einzelne "Wohn- und Arbeitsviertel" erschließen schmale Straßen. Diese verbreitern sich an ausgewählten Stellen. Dort böten sie Raum z.B. für kleinere Versammlungen und Prozessionen. Auffällig ist ein großes, fast palatiales Gebäude. Ein umbauter Zentralhof fehlt. Es ist per Definition kein Palast, es könnte sich jedoch um eine Art Vor- oder Zwischenstufe handeln. Wieder fehlen vergleichbare Befunde aus anderen Grabungen. Was nahe liegt, ist eine Deutung als öffentliches oder Verwaltungsgebäude. Es sind größere Lagerkapazitäten vorhanden. Auch ein gewisser Wille zur Repräsentation ist zu erkennen. An das Gebäude schließt sich ein Hof oder ein Platz an. Hier wäre Raum für einen Markt oder öffentliche Versammlungen.

Soweit der positive Befund. Was leicht zu übersehen ist, wenn man nur den Plan der Ausgrabung studiert: Gournia ist sehr klein. Ich glaube nicht, dass wir genug Anhaltspunkte haben, um Einwohnerzahlen zu schätzen, doch sehr viele können es nicht gewesen sein. Die Frage ist zu beantworten, ob Gournia vielleicht die gesuchte "Nicht-Stadt" ist. Diese wurde für die Stadtdefinition ebenfalls als unerlässlich erkannt. In Anbetracht der gefundenen Strukturen fällt es zugegeben schwer.



Mallia

In Mallia befindet sich der drittgrößte der minoischen Paläste. Mallia ist für die Suche nach der minoischen Stadt von besonderem Interesse. Der Grund liegt auf der Hand. Auch in Mallia konzentrierten sich die Grabungen zunächst auf den Palast, doch ist hier im Gegensatz zu Knossos und Phaistos auch die angrenzende Siedlung in weiten Teilen ergraben. Wie groß diese war, ist wohl noch nicht abschließend zu sagen. Schon der ergrabene Teil brachte sehr interessante Strukturen zu Tage. Mallia gliedert sich in verschiedene Quartiere (vgl. dazu Abb. 8 und Abb. 9) Exemplarisch soll Quartier Mü untersucht werden.

Pfostenlöcher entlang des Zentralhof könnten mobile Zäune aufgenommen haben, die z.B. während des Stierspiels zum Schutz der Zuschauer aufgestellt wurden.

Es ist sehr gut ergraben und gestattet einige Einsicht in die Bauweise der Minoer. Sehr gut zu erkennen ist z.B. die Kellerkonstruktion minoischer Häuser. Der Konservierungszustand ist vorbildlich. Im Nordteil von Quartier Mü befinden sich das Ateliers de sceaux (Siegelmacher), Atelier de potier (Töpferwerkstatt) und das Atelier de fondeur (Metallgießer). Die Gebäude sind multifunktional, beherbergen also Werkstatt-, Lager- und Wohnräume. Der Vorraum mag als Verkaufsraum gedient haben. Zum Teil sind die Räume halb im Untergeschoss.

Die Gebäude waren mehrgeschossig. Am Beispiel der Töpferwerkstatt zeigt sich folgendes Bild. Die Lagerräume scheinen sich im Unterteil des Gebäudes konzentriert zu haben. Hier wurden v.a. Vorratsgefäße gefunden. Im oberen Teil fanden sich Werkzeuge, Ton- und Steingefäße, Metall und Steingegenstände, sowie sonstige Funde. Die Rekonstruktion zeigt, wie das Untergeschoss teilweise unter das Niveaus des Bodens verschwindet. Auf den Dächern werden Terrassen vermutet. In Anbetracht der aufwärtsführenden Treppen kann man von deren Existenz relativ sicher ausgehen. Wenn auch nicht so eindeutig, zeigt sich auch am Atelier de fondeur dasselbe Bild.

Im Südteil des Quartier Mü findet sich ein weiteres Gebäude mit Funden, die auf handwerkliche Tätigkeit hinweisen. Ungewöhnlich an diesem Atelier Sud ist v.a. der Grundriss. Während das benachbarte Haus A ziemlich genau einer Nord-Südausrichtung folgt, orientiert sich das Atelier Sud etwas mehr östlich. Da sich das Gebäude an Haus A anfügt, entsteht ein trapezoider Grundriss. Das gesamte Quartier Mü ist nicht sehr homogen in der Ausrichtung der Gebäude.

innerhalb des Quartier Mü finden sich wichtige Strukturen, die für eine Definition als Stadt als unerlässlich erkannt wurden. Nicht nur gibt es Wohn- und Arbeitsräume in ansprechender Menge, es scheint eine Art öffentliches Gebäude zu existieren. Hier wurden Verwaltungstexte gefunden. Das ungewöhnliche daran: Es ist die einzige Gelegenheit, dass Linear A-Tafeln außerhalb eines Palastes auftauchten.

Es ist zu vermuten, dass es das auch an anderen Plätzen gab, zu beweisen ist es nicht. Ein Grund könnte auch sein, dass während Renovierungsarbeiten am Palast dieses Gebäude zeitweise dessen administrative Aufgaben übernahm. Auch hier kann man nur Mutmaßungen anstellen. Im Grunde kann man über den Fund gar nicht so glücklich sein. Schließlich fällt er sehr aus dem Rahmen und hilft beim Aufstellen eines Modells nicht wirklich weiter.

Blick auf den Palast von Mallia (aus: Guide de Malia, Pl. 1, Abb. 2)


Die einzelnen Quartiere (die nicht alle gleichzeitig datieren) sind durch Straßen mit dem Palast verbunden. In seiner unmittelbarer Nachbarschaft existiert eine Struktur, die sich als Markt definieren lassen würde. Damit haben wir in Mallia mehr, als an allen anderen untersuchten Plätzen. Die Stadtdefinition kann für das minoische Kreta nur über einen Vergleich stattfinden. Mallia bietet sich an. An Mallia kann gemessen werden. Das Problem liegt jedoch auf der Hand: Mallia ist nicht typisch. Ohne Haus A mit seinen Verwaltungstexten, wäre die Definition klarer. Doch ist das für einen Idealtyp nicht ungewöhnlich. Idealtypen im Sinne Max Webers beschreiben ja gerade den nicht idealen Zustand, dem sich die tatsächlich existierenden Beispiele höchstens nähern können.



Die "Minoische Stadt"

Die "Beweisaufnahme" soll hier abgeschlossen und die Indizien zusammengefasst werden. Was unterscheidet die Siedlungen im minoischen Kreta? Mehrere Antworten sind hier möglich. Ein ganz zentraler Punkt ist jedoch offensichtlich. Es gibt Siedlungen mit Palästen und es gibt welche ohne. Nachdem einige notwendige Kriterien (Markt, Straßen, Geschlossenheit, Größe, Verwaltung, diverses und spezialisiertes Handwerk/ Dienstleistungen) gefunden wurden, könnte man es sich leicht machen und hier das hinreichende Kriterium ansetzen.

Sind Mallia und Kato Zakros auch nur halbwegs repräsentativ, erfüllen Siedlungen mit Palästen die angesetzten Kriterien für eine Stadt. Was macht man jedoch mit einer Siedlung wie Gournia? Einem Palastkriterium folgend, fiele es heraus. Das wird dem archäologischen Befund jedoch nicht ganz gerecht. Salopp gesagt, bereitet es ein wenig Zahnschmerzen. Das Modell bedarf also noch einer Verfeinerung. Wie mir scheint kommt ein hilfreicher Hinweis aus der Geographie.


Das Zentrale Orte-Modell von W. Christaller

1933 publizierte der deutsche Geograph Walter Christaller sein Werk "Die zentralen Orte in Süddeutschland. Eine ökonomisch-geographische Untersuchung über die Gesetzmäßigkeiten der Verbreitung und Entwicklung der Siedlungen mit städtischen Funktionen." Er betrachtete hier u.a. die Zentralität bzw. den Bedeutungsüberschuss von Siedlungen im Sinne von Diensten, die nur die Stadtbevölkerung selbst betreffen und Diensten, die darüber hinausgehen, also einen überregionalen Charakter haben. Je höher nun die Zentralität der Siedlung, desto größer die Anzahl von Dienstleistungen pro Bewohner.

Die Idee war: Je seltener ein Gut, desto wahrscheinlicher ist es, dass jemand auch größere Distanzen zurücklegt, um es zu bekommen. Güter dieser hohen Ordnung werden also wahrscheinlich nur an Orten mit einer hohen Zentralität angeboten. Im hier relevanten Sinne gesprochen also: Orte mit hoher Zentralität kann man an ihrem Angebot an "Dienstleistungen" erkennen. Dieses hier stark gekürzte und insgesamt wesentlich komplexere Modell wurde sowohl in den USA als auch in Deutschland lange für strukturpolitische Entscheidungen herangezogen.

Später wurde das Modell kritisiert. Es war zu starr, und einige Annahmen erschienen etwas realitätsfern. V.a. schloss es Bevölkerungsbewegungen aus, was aber die Voraussetzung für das Entstehen neuer Städte war. Es entsprach nicht mehr den Anforderungen der Zeit.

Das Christaller-Modell regte andere Untersuchungen auf Meso- und Mikroebene an. Boustedt führte nach 1950 empirische Untersuchungen von Städten und deren Institutionen durch und der Zentralausschuss für deutsche Landeskunde untersuchte zusammen mit geographischen Hochschulinstituten und dem Institut für Landeskunde die Inanspruchnahme zentraler Güter und Dienstleistungen. Ein Ergebnis dieser Untersuchungen war, dass eine Art Rangliste für städtische Zentren erarbeitet wurde, der dann konkrete Städte zugeordnet werden konnten. Es wurden vier Hauptstufen unterschieden:

    1. Zentrale Orte unterster Stufe dienen zur Deckung allgemeiner täglicher (kurzfristiger) Bedürfnisse.
    2. Zentrale Orte mittlerer Stufe decken den allgemeinen periodischen und normalen gehobenen Bedarf.
    3. Zentrale Orte höherer Stufe dienen zur Versorgung mit Gütern des allgemeinen episodischen und des spezifischen Bedarfs.
    4. Zentrale Orte der höchsten Stufe sind überregionale Verwaltungs-, Wirtschafts- und Kulturzentren.



Eine solche Einteilung in Kategorien scheint auch für das minoische Kreta sinnvoll. Ohne hier scharfe Kriterien aufstellen zu wollen, ist es vorstellbar die "minoische Stadt" über diesen Weg zu fassen. Sollte es ein zentralistisches Kreta gegeben haben, wäre Knossos sicher das Zentrum höchster Ordnung. Beim jetzigen Stand des Wissens scheint es mir angebrachter, die vier Palastzentren als Zentren höchster Ordnung zu verstehen.

Strukturen in der Größe und mit den Einrichtungen, wie sie in Gournia zu finden sind, gehören in eine andere, niedrigere Kategorie. Diese Einteilung umgeht den Stadtbegriff und ist trotzdem aussagekräftig. Ohne neue Quellen ist eine grundlegende Aussage über die Rechtmäßigkeit des Stadtbegriff im minoischen Kreta nicht zu geben. Gebraucht man statt dessen Ober-, Mittel- und Unterzentrum, kann man Aussagen treffen, ohne zu sehr zu spekulieren und sich in modernes Denken zu verstricken. Eine genaue Zuweisung der Orte in der Hierarchie ist Aufgabe einer eigenen Untersuchung und soll hier nicht angestellt werden.












Impressum: Kontakt: info@palace-malia.de; Text, Bilder (wenn nicht anders gekennzeichnet) und Gestaltung: Kristian Büsch,
11 Coolmine Woods, Dublin 15, R.O.I.

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