Einleitung (Startseite)

Die Stadt bei Max Weber Die Stadt in der heutigen Forschung Die Stadt in der klassischen Antike
Wirtschaft in der Bronzezeit Das minoische Kreta Ausblick & Zusammenfassung Literatur-/ Quellenverzeichnis




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Ausblick


Wenig ist beim vollständigen Fehlen von Quellen sicher zu belegen, es ist schon schwierig genug, wenn wir entsprechende Quellen haben. Wie der Fall Rom zeigt, verwirren schriftliche Quellen gelegentlich mehr, als sie erhellen. Obwohl die Quellenlage für Rom also recht günstig ist, muss man konstatieren, dass der archäologische Befund nicht mit den in schriftlichen Zeugnissen geschilderten Geschehnissen in Einklang zu bringen ist. Gerade für die Zeit der Königsherrschaft ist einzuräumen, dass wir noch nicht wissen, wie diese Überlieferung zustande gekommen ist. Nur einmal ein Beispiel: Die aristokratischen gentes hatten kaum etwas über die Königszeit in Rom zu sagen. So glaubten die Valerii: "dass sie mit Titus Tatius vom Sabinerland nach Rom gekommen seien, aber sie hatten ihren ersten großen öffentlichen Auftritt erst bei der Gründung der Republik, d.h. mit dem Konsulat des P. Valerius Poplicola."

Zu Kreta gibt es keine historiographischen Quellen. Auch bei Chroniken, Königslisten oder Lokalgeschichte sieht es nicht besser aus. Die Hieroglyphenschrift entzieht Übersetzungsversuchen ebenso wie das Linear A. Selbst wenn es eine sichere Übersetzung gäbe, eine große Hilfe wäre sie wohl nicht. Bei den meisten Texten handelt es sich vermutlich um Wirtschaftstexte. Die können durchaus bei der Entschlüsselung gesellschaftlicher Fragen helfen, allerdings gibt es hier enge Grenzen. Trotzdem haben wir Informationen zu Kreta. Die Quellen dieser Informationen sind aber relativ jung. Zeitlich am nächsten steht noch Homer, doch auch zwischen Homer und der Nachpalastzeit liegen mindestens 500 Jahre.


Interessant ist nun, dass es zu Kreta zwei sehr unterschiedliche Überlieferungen gibt. Zum einen berichtet die Legende vom weisen gütigen Minos, der sich alle 9 Jahre mit Zeus trifft, um Gesetze zu besprechen. Daneben gibt es aber auch die Mär vom verschlagenen und grausamen Tyrann, der alle 9 Jahre 7 Jünglinge und 7 Jungfrauen fordert, die er dem Minotaurus zum Fraße vorwirft. Dieser eigenartige Doppelstrang in der Überlieferung fiel schon den antiken Autoren auf.

Ein anderes interessantes Faktum: Die Religion der späteren Griechen ist sehr eng mit Kreta verbunden, stammt doch ihr höchster Gott Zeus von der Insel. Fast scheint es, als fehle für eine Erklärung des Zusammenhangs noch so etwas wie ein fehlendes Glied. Für das minoische Kreta gibt es de facto keine verwertbaren Schriftquellen. Anhand des archäologischen Befundes soll hier als Nachtrag noch etwas spekuliert werden. Schließlich bedarf es keiner Prophetie, um zu vermuten, dass es auf Kreta noch einiges zu entdecken gibt.


 





Beginnen möchte ich in Palaiskastro. Schon der ergrabene Teil ist verhältnismäßig groß. Im allgemeinen wird vermutet, dass weitere Teile unterhalb der Meeresoberfläche liegen. Es ist eine bekannte Tatsache, dass Kreta langsam abkippt und so im Osten Land verliert. Palaiskastro liegt im äußersten Nordosten der Insel und ist entsprechend stark von dieser negativen Strandverschiebung betroffen. Das führte zu der Vermutung, dass weitere Teile der Siedlung (z.B. ein administrativer Bau) im Meer versunken sein könnten.

Nach einer Besichtigung des Platzes glaube ich aber, dass die so dringend gesuchten "großen" Strukturen landeinwärts zu suchen sind. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass es auch hier einen Palast gab. Der Platz bietet dafür allerbeste Voraussetzungen. Bei genauerer Betrachtung sind die geographischen Gegebenheiten hier viel günstiger, als in Kato Zakros.

Überhaupt kann man vermuten, dass es auf Kreta deutlich mehr Paläste gab, als wir bisher kennen. Die Einteilung Kretas in drei bzw. vier Landschaften, wie man sie gelegentlich lesen konnte, spiegelt wohl kaum die Realität in der Bronzezeit wieder. Wenn sich Kreta in vier "Verwaltungsbezirke" gegliedert hätte, ist nicht einzusehen, wieso in großer Nähe zu Knossos sich der Palast von Mallia etablieren konnte und warum dies in ansprechender Distanz und bei besten geographischen Voraussetzungen, z.B. in der Gegend von Sitia, im Bereich des antiken Kydonia oder in der Gegend um Agios Nikolaos nicht möglich gewesen sein soll.


Das Argument, Kreta könne keine für die Epoche "exotische" Form der Regierung gehabt haben, da diese in ägyptischen Quellen aufgetaucht wäre, scheint mir nicht so zwingend. Dass das große Ägypten für den kleinen Handelspartner Kreta genügend Interesse aufgebracht haben soll, ethnographische oder andersgeartete Untersuchungen zu führen, halte ich für Spekulation. Die belegten Kontakte datieren zudem aus der Hyksoszeit und gelten, selbst was die Informationen zu Ägypten betrifft, als unsicher.

Und wie exotisch ein System auf breiter Basis im Sinne z.B. einer Partizipation der Bürger ist, müsste überhaupt noch untersucht werden. Für Ägypten mag man es ausschließen, in Mesopotamien sieht die Sache etwas anders aus. Zitiert seien hierzu E. C. Stone und P. Zimansky: "Bislang haben Archäologen gewöhnlich Indizien einer Zentralisierung besonders hervorgehoben. Doch ein genauerer Blick auf ihre Argumentation und neuere Funde unserer Grabungsstätte Maschkan-schapir offenbart, dass diese Ansicht revidiert werden muss. Bei den früheren Ausgrabungen in Mesopotamien hat man sich vor allem auf Tempel und Paläste als die Sitze von geistiger Autorität, Macht und Reichtum konzentriert, und unter einem ähnlich engem Blickwinkel wurde dann die Struktur der Gesellschaft rekonstruiert, die diese Bauten errichtete. Die schon wegen ihrer einstigen Größe bevorzug[ten] Monumente, die hohen Status bestimmter Gruppen erweisen, haben jedoch davon abgelenkt, dass die mesopotamischen Schriftquellen keine deutlichen verschiedenen sozialen Klassen verzeichnen, sehr wohl aber die Bedeutung von allgemeinen Versammlungen für Entscheidungen für die gesamte Gemeinschaft."

(E. C. Stone, P. Zimansky: Die innere Organisation einer mesopotamischen Stadt, in: Frühe Stadtkulturen, S. 27/28)

Betrachtet man die bisher ergrabenen Teile des Puzzles und ergänzt sie durch Bausteine, die man sicher vermuten kann (z.B. einen Palast in Kydonia), ergibt sich ein wie ich finde interessantes Bild. Ein kleiner Exkurs soll das verdeutlichen.


Im 12. Jahrhundert nach Christus schlossen sich entlang der Ostsee (und bis weit hinein ins Binnenland) verschiedene Städte zu einem Bund zusammen - der Hanse. War es zunächst die deutschen Hanse, wurde der Zusammenschluss erweitert und 1358 als "Bund van der düdeschen hanse" gegründet. Davon versprach man sich Vorteile beim Handel, konnte man doch Regeln und Preise diktieren, schuf sich zugleich aber auch einen Schutz gegen Piraten und anders geartete Gefahren.

Zentrum dieses Bundes war Lübeck. In mehr oder weniger regelmäßigen Abständen trafen sich die Führer der einzelnen Hansestädte und besprachen das weitere Vorgehen. Trotz mancher Gemeinsamkeiten resultierend aus dem Zusammenschluss in diesem Bund, behielten die einzelnen Hansestädte ihre Individualität. So existierte keine Verfassung in diesem lockeren Bund, dem zeitweise über 200 Städte angehörten. Landschaftlich war die Hanse in Quartiere gegliedert. Führend war, wie erwähnt, das wendische Quartier mit Lübeck. Dass man sich hier auch architektonische oder strukturelle Anregungen holte, war nicht ausgeschlossen.


Ich kann den Exkurs abbrechen. Es ist klar, was gemeint ist. Kreta ist schwer zu regieren. Das galt damals sicher schon genauso wie heute. Generationen von Eroberern und Besatzern haben sich blutige Nasen geholt, bei dem Versuch Kreta eine straffe Administration überzustülpen. Die Topographie Kretas ist geradezu prädestiniert für die Herausbildung einzelner, relativ kleiner und unabhängiger Zentren. Es mag Argumente dagegen geben, doch gebe ich zu bedenken, wie ungewöhnlich die Minoer am Ende doch waren.

Pax Minoica, Matriarchat, Thalassokratie, ... was sagt man den Minoern nicht alles nach. Und wie Paul Faure (Faure, Kreta - Das Leben im Reich des Minos, Stuttgart 1983) recht überzeugend gezeigt hat, ist die Mär vom Matriarchat nicht ganz umsonst auf Kreta angesiedelt. Das Erbschaftsrecht hier unterscheidet sich in einem ganz zentralen Punkt von anderen Fällen: Neben der nicht ungewöhnlichen, herausragenden Stellung des Clans in Fragen des Besitzes ist die Erbfolge innerhalb des Clans matrilinear.

So soll der Brauch der kollektiven, endogamen Heirat unter den Mitgliedern zweier Stämme bis in hellenistische Zeit fortgedauert haben. Beide Partner konnten die Ehe auflösen. Die Frau behielt dabei ihr Vermögen, bzw. ihre Mitgift. Der Mann hatte in keinem Fall Verfügungsgewalt über das Eigentum der Frau. (Ziemlich genau dieselben Regeln gelten z.T. bis heute bei den nordafrikanischen Nomaden. Auch hier wird endogam geheiratet und die Frau behält ihren Besitz und kann sich scheiden lassen. Die Endogamie scheint also der Auslöser für die Regeln des Besitzes zu sein. Das macht auch Sinn, da der Clan so sein Eigentum schützt. Siehe dazu: Büsch, Kyrene – ein Vorposten griechischer Kolonisation) Die Frau konnte sogar einen Leibeigenen heiraten. Zog dieser auf das Gut der Frau, waren die Kinder frei. Ihr Status richtete sich nach dem Ort der Geburt.

Ein interessantes Detail ist, dass Minos in erster Linie als Sohn der Prinzessin Europa galt, nicht als Adoptivsohn Asterions. Auch Herodot kannte die matrilineare Tradition und lokalisierte sie: "Die Lykier stammen ursprünglich aus Kreta .... Sitten haben sie teils kretische, teils karische. Diesen einen Brauch aber haben sie ganz für sich und stimmen da mit keinem andern Volk überein. Sie benennen sich nach der Mutter und nicht nach dem Vater. Fragt jemand einen, wer er ist, so wird er seine mütterliche Herkunft nennen und seiner Mutter Mütter herzählen." (Herodot, Historien 1,173, München 1991) Scheinbar hatte Herodot gehört, dass auf Kreta ein matrilineares Recht beheimatet war. Von dort stammen nach seiner Aussage die erwähnten Lykier. Der Gründungsmythos verbindet sie sogar mit Sarpedon, einem der Brüder des Minos.

Matrilinearität? - Das ist auf jeden Fall ziemlich exotisch. (Selbstverständlich ist dieses Verfahren für die Bronzezeit nicht nachzuweisen, doch Traditionen entstehen. Gerade die Kreter gelten Veränderungen gegenüber als wenig aufgeschlossen.) Auch das vollständige Fehlen von Schutzmauern und v.a. brauchbaren Waffen ist nicht nur für die Bronzezeit ein äußerst ungewöhnliches Phänomen. So wenig man es beweisen kann, ist es doch recht offensichtlich, dass das minoische Kreta, bevor, wie wohl sicher anzunehmen ist, die Mykener um 1450 v.Chr. die Macht übernahmen, einen sehr eigenen Weg gegangen ist.



Zusammenfassung

Eine sinnvolle und scharfe Stadtdefinition für das minoische Kreta zu finden, gelingt nicht. Einige notwendige Kriterien wurden jedoch erkannt. So scheinen eine gewisse Größe und bauliche Dichte unverzichtbar. Typisch und notwendig für eine Stadt sind daneben ein Markt, verschiedenes Handwerk, Infrastruktur und Verwaltung. Kreta wurde als untypischer Sonderfall erkannt. Die fehlende Befestigung und die Rolle der Paläste bleiben ein Rätsel.

Die Paläste könnten Ausdruck jenes "Bedeutungsüberschusses" von Städten gegenüber dem Umland gewesen sein. Das Fehlen einer Währung muss kein Hindernis sein für eine ausgeprägte, auf Handel konzentrierte Wirtschaft. Von welcher Regierungsform man für das minoische Kreta ausgehen muss, ist nicht sicher zu bestimmen. Die Indizien sprechen gegen eine starke Zentralmacht und v.a. gegen ein repressives System. Auch welche Rolle der Kult spielt, kann nur vermutet werden. Sicher wird die Rolle im täglichen Leben nicht unerheblich gewesen sein. Gegen eine starke politische Rolle der Religion sprechen einige Indizien. Völlig auszuschließen ist es nicht.

Sucht man nach einer Kategorie, in die einzelne Siedlungen eingestuft werden können, wurde die Einteilung in Ober-, Mittel- und Unterzentren vorgeschlagen. Der Begriff der "minoischen Stadt" ist nicht eindeutig zu definieren. Daher sollte er vorerst abgelehnt werden. Einer "Stadt" am nächsten kommt sicher Mallia. Verwendet man Mallia als Maßstab, fallen jedoch alle anderen Siedlungsplätze beim momentanen Grade der Erkenntnis heraus. So bleibt am Ende ein klares Jein. Die Suche nach einer minoischen Stadt muss fortgesetzt werden. Ob es gelingen kann, eine scharfe Definition für sie zu finden, darf angesichts der Probleme die wir schon bei der Definition moderner Städte haben, bezweifelt werden.









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